Urlaub mit Hindernissen

Die Bucht von San Agustinillo, in der wir Weihnachten verbracht haben ist einer der wunderwunderwunderschönsten Orte auf der Welt, man kann gar nicht genug davon bekommen, einfach nur da zu sitzen und aufs Meer zu gucken...

Aber leider ist es unglaublich mühsam, dort hin zu kommen. Fernab halt und ziemlich unberührt...

 

Wir sind mit dem Auto hin gefahren, weil wir auf dem Rückweg noch an ein paar anderen Orten Halt machen wollten. Die Strecke ist auch nur ca. 600 km von Puebla bis ans Meer, aber wie ich hier schon gelernt habe, muss man von der Wegzeit her das Doppelte rechnen wie bei uns, also legen wir sogar eine Übernachtung ein... 

Nach 300 km hört die Autobahn auf und wir fahren über Land. Das heißt, es gibt zwar eine recht große Straße, die direkt bis an die Küste führt, aber wie überall in Mexiko kann man sich als Europäer kaum vorstellen, in was für einem Zustand diese ist. Da es hier ein halbes Jahr lang täglich einige Stunden sintflutartig regnet und das andere halbe Jahr lang gar nicht regnet und die Sonne unerbittlich auf den Asphalt knallt, bröckelt es an allen Ecken und Enden. Was wiederum bedeutet, dass sich (übrigens auch in Puebla selbst) von heute auf morgen dicke halbmeter große Löcher in der Straße auftun, die man slalommäßig umkurven muss. Dazu kommt, dass jedes kleinste Häusschen (in Dörfern oder größeren Ansiedlungen erst recht) als Verkehrsberuhigung Self-made-Beton-Hügelchen auf die Straße giesst (in Holland heißen die Teile „Drempel“, in England "sleeping policemen", hier „topes“), damit die Autos hier nicht so rasen oder damit man gezwungen ist, am Apfelsinenstand, der am Straßenrand steht, langsamer zu fahren und so die Verkäufer eine Chance haben, ihre Waren anzubieten…

 

Also überquert man auf einer Strecke von 100 km gefühlte 300 „Topes“ und kriecht mit Geschwindigkeiten zwischen 30 km/h und 60 km/h dahin. Wer schneller fährt und einen Topes zu spät erkennt (was bei wechselnden Lichtverhältnissen durchaus passieren kann), riskiert einen Achsenbruch oder was wohl ganz normal ist (und bei uns nicht anders war), dass den Mitfahrern einfach irgendwann durch die plötzlichen Vollbremsungen speiübel wird.

Wenn man diese Strecke dann gut hinter sich hat, kommen die Berge... Vier Stunden Serpentinen mit gelegentlichen Topes und auch hier ständigen Kratern in der Straße… mehr brauche ich glaube ich gar nicht zu erzählen...

 

An einer Stelle (wo es dann tatsächlich auch eine Baustelle gab) ist die Hälfte der Straße weggerissen, weil sie von einem Fluss unterspült worden ist. Wenn wir da im Dunkeln gefahren wären, hätten wir unser letztes Stündlein in einem Abgrund verbracht… An einer anderen Stelle liegt demonstrativ ein Ast mitten auf der Fahrbahn, was hier die gleiche Funktion wie ein Warndreieck hat... Und tatsächlich kommt dann ein paar hundert Meter weiter eine Stelle mit besonders wenig übriggebliebener Fahrbahn, wo ein Bach die Straße unter- und überspült hat... 

Was übrigens auch ein deutliches Warnzeichen ist, ist wenn eine Person am Straßenrand steht und wild mit irgendeinem Tuch wedelt...

      

Aber zurück zu Weihnachten... Heiligabend:

 

Als Highlight des Tages haben wir eine Bootstour geplant, die um 7.30 Uhr los geht. Am Morgen trifft man sich also trotz sehr rauher See am Strand. Das Bötchen wird insgesamt mit zehn Touristen besetzt und fährt auch sofort tapfer durch die hohen Wellen zunächst mal bis hinter die Felsen ca. 300 m vor die Küste, von wo aus wir dann zu den Walen, Delfinen und Wasserschildkröten starten wollen. Also ein echtes Weihnachtserlebnis!

 

Komischerweise hält das Boot aber erst mal direkt hinter den Felsen an, wo die Wellen sich zwar nicht mehr brechen, aber immer noch schreckliches Geschaukel herrscht... 

Und dann … geht der Motor aus!... Schaukel, schaukel...

Na ja, der Tag ist ja noch jung und für ein bisschen Abenteuer ist man ja auch zu haben, oder? 

Der Capitano fummelt also eine Zeit lang am Motor rum... schaukel, schaukel, schaukel... zieht plötzlich sein T-Shirt aus… springt ins Meer, schwimmt an Land und ist verschwunden!... Hallo?!?!?!... Hat der keinen Bock mehr oder was?!... Wir schaukeln jedenfalls munter weiter vor uns hin: Der Kapitain von Bord und nur noch so ein Typ da, der nicht aussieht, als könnte er ein Boot steuern und dazu die zehn Touristen in Schwimmwesten auf einer schaukelnden Holzschale vor der Küste ... Herrliche Aussichten! 

Auch nach einer halben Stunde tut sich wirklich immer noch überhaupt nichts und irgendwie wird mir langsam mulmig... Vielleicht ist der Kaptain ja abgehauen, damit er gleich schön mit seiner Familie Weihnachten feiern kann?... während uns hier draußen wohl keiner hört, während wir hilflos aufs offene Meer zu treiben … ... ... 

Aber dann... endlich! Da sieht man den Kopf eines Schwimmers, der sich durch die raue See kämpft und sich wieder an Boord zieht... unser tapferer Kaptain ist wieder da! Jipppiiie! Ich leiste innerlich erst mal Abbitte, weil ich ihn als Deserteur verdächtigt habe! Aber nein, dieser Mann hat todesmutig sein Leben aus Spiel gesetzt, um... ja was eigentlich???... 

Schon im nächsten Moment werde ich erfahren, warum er an Land und wieder zurück geschwommen ist!... Er zieht nämlich ein Päckchen aus seiner Badehose... Und darin befindet sich sorgsam in Plastik eingewickelt... eine Zündkerze!... Die man aufgrund ihrer unglaublichen Größe ja unmöglich als Ersatzteil an Bord haben kann... Ich bin erst mal fassungslos... schaukel, schaukel, schaukel, schaukel...

 

Na gut... durchatmen... neue Chance... meine Stimmung hebt sich wieder, allerdings hilft das Einigen an Bord schon nicht mehr... schaukel, schaukel... und die müssen sich heftig übergeben... 

Die Zündkerze ist jedenfalls schnell eingebaut und der Capitano fängt wieder an, am Motor rum zu fummeln... und... Nichts!!!...

Er macht und tut und schraubt und zieht und drückt und irgendwann macht er nichts mehr… ... ... und starrt nur noch aufs Wasser... wahrscheinlich überlegt auch er sich jetzt, ob uns hier draußen wohl einer hört, während wir hilflos aufs offene Meer zu treiben... schaukel, schaukel...

 

Wir schaukeln also so weit von der Küste entfernt, dass WIR nicht zurückschwimmen können und unser Kaptain sitzt stumm im Boot und tut gar nichts mehr… Ganz ganz toll!... 

Ahhh! Aber da kommt ja zum Glück ein anderes Boot angefahren! Rettung in Sicht!!! Denn die können wir ja dann mal fragen, ob vielleicht jemand von denen ein handy dabei hat!... DAS hat unser vorausschauender Capitano nämlich leider auch nicht an Bord, aber zum Glück der Inhaber des anderen Bootes... ach wären wir doch bloß mit denen gefahren!

Mit diesem handy wird dann kurzerhand die „Küstenwache“ angerufen, die uns jetzt retten soll... schaukel, schaaaauukel, schaukel, schaaaukel... 

Was leider noch mal ewig dauert, weil die Küstenwache  den Jetski aus dem Nachbarort holen muss, da sie sich den mit drei Dörfer hier teilen... Nach einer weiteren halben Stunde (gefühlte drei Stunden)...schaukel, schaaaauukel, schaukel, schaaaukel...

kommt endlich der Jetski angefahren und dann werden wir alle einzeln zurück zum Strand transportiert...

Einigen von uns ist nach diesen zwei Stunden Extrem-Achterbahn-Fahrt so schlecht, dass sie nur noch mit Unterstützung zu ihren Hotels und ins Bett wanken können...

Das war dann unser Weihnachtshighlight... schöne Bescherung!

 

Unser Kaptain jedenfalls hat trotzdem gute Laune - offensichtlich passiert ihm das nicht zum ersten Mal. 

Er macht lachend noch ein paar Witzchen, von wegen „tolles Abenteuer“, zuckt dann mit den Schultern und am Nachmittag wird er gesichtet, wie er ganz in Ruhe am Strand wieder an seinem Motor rum schraubt – so wie die letzten drei Tage auch schon... das hätte mich eigentlich stutzig machen 

 

Ich hab die Tour zwei Tage später bei einem anderen Skipper nachgeholt. Dem Rest der Familie war leider immer noch schlecht und sie hatten keine Lust mehr auf Bootstouren. Aber ich dachte mir, dass ich wahrscheinlich nie wieder in diese Bucht kommen werde, weil die Anfahrt ja einfach so mega anstrengend ist und habe mich todesmutig noch mal in so ein Boot gesetzt... und werde mit Schildkröten, Delfinen und Walen belohnt. Den Skipper, der uns das Weihnachtsfest ruiniert hat, sehen wir übrigens auch - er fährt freudestrahlend mit seinem Boot "In Cem Anahuac Yoyotli" und neun ahnungslosen Passagieren an uns vorbei - na dann: Seemanns heil!

 

 

Übrigens

Das mit dem Tuch wedeln, wenn Gefahr auf der Straße droht, durfte ich dann persönlich auch mal auf unserer Rückfahrt ausprobieren. Wir sind auf der Autobahn noch eine halbe Stunde von Puebla entfernt, als wir plötzlich einen Platten haben... Mist!... Wir fahren also auf den „Standstreifen“, der so schmal ist, dass das Auto so gerade eben darauf Platz hat, ein Mensch aber nicht mehr - rechts geht steil eine Böschung runter, sodass man das Auto keinen Millimeter zu weit an den Rand fahren kann. Links rauschen genau wie bei uns riesige Lastwagen und Reisebusse vorbei... 

Der geplatzte Reifen ist leider hinten links, also der Straße zugekehrt... Wir sind ein bisschen ratlos, wie man denn hier einen Reifen wechseln soll, ohne sich tot fahren zu lassen und Lutz fängt erst mal mit Till an, den Kofferraum auszuräumen, um an das Reserverad zu kommen.

Und ich betätige mich dann mal wie gesagt mal als lebendes Warndreieck: 

Laufe brav ein paar hundert Meter weiter und vollführe auf dem Standsreifen mit meinem weißen Halstuch riesige Aerobic-Bewegungen... Und siehe da: Das klappt ganz gut! Ich bin wohl weithin zu sehen, denn alle Autos, die auf der rechten Fahrbahn fahren, ordnen sich schön links ein und machten einen großen Bogen um uns. Und zu unserem riesengroßen Glück erscheint auf einmal auf der Gegenfahrbahn dann auch noch ein PickUp mit zwei Männern, die alles, aber auch wirklich alles für so eine Reifenpanne dabei haben: Pilone, um die Fahrbahn zu sperren und andere nützliche Dinge. Jippiiiee!!!...

Die netten Herren bieten uns sogar an, den Reifen noch vor Ort zu flicken – WOW! Hut ab vor den mexikanischen gelben Autobahnengeln! 

Das brauchen wir allerdings nicht, da wir ja den Reservereifen haben. Den Reifenwechsel lassen wir sie aber natürlich sehr gerne machen... Toll, der mexikanische „ADAC“ funktioniert ja wirklich einwandfrei!

 

Als wir dann wieder im Auto sitzen und glücklich Richtung zu Hause rollen, kann ich es immer noch nicht ganz fassen und spreche mein Erstaunen über diesen tollen Service dann auch mal laut aus... und da macht es bei uns allen auf einmal KLICK... ... ...

Ich habe nämlich mal einen Bericht gesehen, dass in manchen Ländern die Leute Nägel auf die Autobahn streuen und dann an der Autobahn auf und ab fahren, um genau den Service anzubieten, den wir gerade dankbar in Anspruch genommen haben...

Und als wir den kaputten Reifen in unserer Werkstatt in Puebla flicken lassen, dürft Ihr drei mal mal raten, was die Ursache für unseren Platten war… na? …na?… Ganz genau: Zwei rostige Nägel!

Du möchtest noch mehr Geschichten aus Mexico lesen? Klick hier!

Du möchtest alle meine Artikel lesen? Klick hier!